DIE GESCHICHTE

Es lebe das Kaffeehaus! In den 1950er-Jahren beinahe totgesagt, hat nun eine neue Kaffeehausblüte begonnen. In Wien gibt es heute mehr als 900 Kaffeehäuser und fast 700 Café-Restaurants. Dazu gesellen sich rund 400 Espressi und 80 Café-Konditoreien – ganz beachtlich für eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern.

Mann in Kaffehaus Demel in den 1960ern

Kaffehaus Demel in den 1960ern

Denn eines ist klar: Das Kaffeehaus ist nicht in erster Linie für Touristen da, es war immer schon essenziell für das gesellschaftliche und geschäftliche Leben der Wiener.

Auch draußen in der Vorstadt gehen die Menschen wieder ins Café, auf ein Plauscherl mit Freunden oder einfach, um einen guten Kaffee zu trinken und in aller Ruhe die Zeitung zu lesen. Man trifft sich wieder im Kaffeehaus, das Handy bleibt in der Tasche. Im Kaffeehaus lernt man wieder, miteinander zu reden.

Legende um die Wiener Melange

Und es wäre nicht Wien, wenn die Entstehung des Kaffeehauses nicht mit einer Legende verknüpft wäre, die bereits Volksschulkinder kennen: Nach dem Ende der Zweiten Türkenbelagerung 1683 erhält Georg Franz Kolschitzky die Kaffeesäcke, die von den Türken zurückgelassen wurden.

Er röstet die grünen Bohnen, die wie Kamelfutter aussehen, mahlt sie und gießt sie mit kochendem Wasser auf. Das so entstandene Getränk – den Kaffee – schenkt er in seinem Lokal, das er ebenfalls geschenkt bekam, aus. Allerdings schmeckt den Wienern das bittere Getränk überhaupt nicht. Eines Tages gerät durch ein Versehen Zucker in die schwarze Brühe. Kolschitzky gibt noch ein paar Tropfen Milch dazu – und schwupps, war die „Wiener Melange“ kreiert.

Schöne Geschichte.

So war’s aber nicht. Zur Entstehung der Kaffeehaustradition haben eine ganze Reihe von Persönlichkeiten beigetragen. Eines der ersten Wiener Kaffeehäuser wurde vom Armenier Johannes Diodato gegründet, der 1685 als Belohnung für seine Verdienste um die Rettung der Stadt das Ausschankprivileg für Wien erhielt. 1714 gab es bereits elf konzessionierte Kaffeesieder in Wien. Allerdings schenkten auch die Wasserbrenner, die Schnaps brannten, illegal Kaffee aus. Maria Theresia vereinte die beiden Bruderschaften, und seit damals dürfen Kaffeesieder „harte Getränke“ verkaufen.

Das „Glas Wasser“ zum Kaffe gab es schon im 17. Jahrhundert

Mitte des 18. Jahrhunderts gab es im Kaffeehaus in Grundzügen schon alles, was heute zur Tradition gehört: Man spielte Billard und Karten, es gab Zeitungen und auch schon das Glas Wasser, serviert mit dem Löffel nach unten. Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte das „Konzertcafé“ seine Hochblüte, in dem Lanner, Strauß Vater und Sohn oder Ziehrer musizierten. Als 1873 die Weltausstellung in Wien stattfand, war das Kaffeehaus in aller Munde. Überall in Europa entstanden Kaffeehäuser im Wiener Stil.

Das Kaffeehaus und die Literaten

Seine Blütezeit erlebte das Kaffeehaus Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, als Kaffeehausliteraten wie Peter Altenberg, Arthur Schnitzler und viele andere in ihren Stammcafés arbeiteten und philosophierten. Stefan Zweig

Schanigarten Café Schwarzenberg

Schanigarten Café Schwarzenberg

beschreibt das Wiener Kaffeehaus in seiner Autobiographie, Die Welt von Gestern, so: „Es stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo der Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann. Täglich saßen wir stundenlang, und nichts entging uns.“

In den 1920er-Jahren kam die Weltwirtschaftskrise. Im Kaffeehaus handelte man unter dem Tisch mit Waren und Preziosen. Nach dem Krieg war es schwer, die einstige Atmosphäre wiederherzustellen. Einige berühmte Kaffeehäuser mussten schließen und großen Autosalons oder Bankfilialen weichen. Auf der Ringstraße überlebten nur vier von fünfzehn vor dem Ersten Weltkrieg verzeichneten Kaffeehäusern.

Lieber in Ruhe sitzen als „Barstehen“ wie in Italien 

Dutzende kleine Espressi mit bunten Hockern und chromglitzernden Bars schossen aus dem Boden, aber die gemütlichen Wiener wollten doch lieber in aller Ruhe sitzen statt wie in Italien „barstehen“. In Wien ist aber Platz für beides. Seit den 1990er-Jahren liegen Kaffeehäuser wieder voll im Trend. Schließlich ist zu Hause fernsehen auch nicht die Lösung. Das Kaffeehaus ist der ideale Ort, um miteinander zu reden und über die schrecklichen Zustände zu matschkern. Seit 2011 zählt die traditionelle Wiener Kaffeehauskultur zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO.

„Coffee-to-go“ tritt auf den Plan

Und dann kamen die internationalen Ketten, vorne weg der Kaffee-Gigant aus Seattle, „Starbucks“. „Coffee to go“ war bald in aller Munde, und auch etablierte Kaffeehäuser unterwarfen sich dem Zeitgeist. Viele Tassen wurden gegen Pappbecher eingetauscht. Das Tablet ersetzte die Tageszeitung. Es wurde viel diskutiert, man hatte Angst vor „dem Neuen“. Aber den Kaffee im Gehen schlürfen ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss, die Kaffeehäuser erfreuen sich immer noch guter Ergebnisse und die Ketten genauso.

Bis dato bleibt es eine friedliche Koexistenz ohne gröbere Zwischenfälle. Im Kaffeehaus hat man das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben: Das Interieur ist alt und gediegen, der Holzboden macht Geräusche, die Marmortische sind kühl und die Ober elegant gekleidet. Fast jedes Kaffeehaus hat eine aus verschiedenen Sorten bestehende Kaffeebohnenmischung, die jeder Kaffeesieder natürlich als „Geschäftsgeheimnis“ hütet.

Fensterplatz im Café Museum

Fensterplatz im Café Museum, gestaltet von Adolf Loos

Das Kaffeehaus lebt – und wie!

Moderne Vertreter des Kaffeehauses bereichern die Tradition durch stylishes Flair und neue Ideen. Kaffeeliebhaber brühen ihren Kaffee neuerdings kalt. „Cold Drip“- und „Cold Brew“-Kaffee finden Einzug in immer mehr hippen Cafés. Dabei sollte man Cold Brew und Cold Drip nicht mit herkömmlichem Eiskaffee verwechseln. Cold Brew und Cold Drip werden oft für dasselbe gehalten, basieren aber auf unterschiedlichen Herstellungsmethoden und schmecken auch anders.

2018 kommen auch die French Press und die Filterkaffee- Maschine zu neuem Ruhm. Der Pour-over unterscheidet sich vom normalen Filterkaffee durch Handaufguss und hochwertige Kaffeebohnen. Der Trend geht weg vom günstigen Discounter-Kaffee hin zu mehr Qualität, weg von den dunklen Röstungen zu den hellen, die sich perfekt für die Filterkaffee-Maschine eignen.

In Wien gilt schon seit 335 Jahren: Kaffee ist nicht gleich Kaffee. Es hat sich immer etwas getan, aber das Wiener Kaffeehaus bleibt ein wichtiger Teil unserer Tradition, unserer Identität. Manchmal sind die Bräuche und Gepflogenheiten für Außenstehende vielleicht seltsam, doch sie sind aus Wien nicht wegzudenken, genauso wenig wie der Stephansdom oder der Würstelstand.